Das Phänomen Sucht

Sucht ist „ein unabweisbares Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entscheidung einer Persönlichkeit und zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen eines Individuums.“ Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 1957 ist Sucht „ein Zustand periodischer oder chronischer Vergiftung, hervorgerufen durch den wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge und ist gekennzeichnet durch 4 Kriterien:

 

Ein unbezwingbares Verlangen zur Einnahme und Beschaffung des Mittels,

eine Tendenz zur Dosissteigerung (Toleranzerhöhung),

die psychische und meist auch physische Abhängigkeit von der Wirkung der Droge,

die Schädlichkeit für den einzelnen und /oder die Gesellschaft.“

 

Es geht hier also um ein zwanghaftes Verhalten, das sich der Kontrolle des/der Betroffenen entzieht und somit störend wirkt. Es entsteht die Abhängigkeit.

 

Das Wort Sucht leitet sich ab von „siech“, d.h. krank.

Zu unterscheiden ist zwischen sogenannten stoffgebundenen Süchten (Sucht nach Drogen mit chemischer Wirkung, die zu einer scheinbaren Glückserfüllung führen) und den sogenannten stoffungebundenen Süchten (wie Magersucht, Spielsucht, Kaufsucht, Arbeitssucht u.a.).

Wer durch Drogen versucht, vor persönlichen oder beruflichen Problemen zu flüchten, kann schnell die Kontrolle über sein Verhalten verlieren. Probleme werden durch Drogen nicht gelöst, sondern allenfalls verdrängt oder gar verschlimmert.

Wenn Drogen oder ein bestimmtes Verhalten (z.B. bei der Kauf-, Spiel-, Magersucht) zum sozialen Rückzug führen und soziale Kontakte ersetzen sollen, droht das soziale Abseits und die Unzufriedenheit wächst, so dass der Einstieg in die Sucht fast schon vorprogrammiert ist.

Außerdem sollte man hellhörig werden, wenn Betroffene ihr Verhalten ständig rechtfertigen. Insbesondere bei Alkoholabhängigen sind solche Rationalisierungen festzustellen. Es wird argumentiert, dass ein bisschen Alkohol noch niemandem geschadet habe oder dass man nach Feierabend den Alkohol eben zur Entspannung benötige. Für Angehörige ist es besonders schwer, solchen Argumenten etwas entgegenzusetzen. Lässt sich der Alltag nur noch mit dem Gedanken an den nächsten Drogenkonsum ertragen und wird die Droge als Belohnung z.B. für einen schweren Arbeitstag verstanden, so kann auch darin ein Kriterium für die Drogenabhängigkeit gesehen werden.

 

Gefährlich wird es, wenn die ersten Drogenerlebnisse, die einen besonderen „Kick“ ausgelöst haben, dazu verführen, diesen ersten Kick immer wieder zu suchen. Es kann dann leicht passieren, dass auf der Suche danach die Dosis immer wieder gesteigert werden muss. Es besteht die Gefahr des Übergangs von der Abhängigkeit in die Sucht. Und der Weg aus der Sucht ist ein sehr schwieriger, der manchem nie gelingt.

 

Wie gehen wir mit dem Thema Sucht um? Was will Aufklärung erreichen, und was erwartet unsere Gesellschaft von der „Suchtbekämpfung“? Schon der Begriff „Suchtbekämpfung“ erscheint im Hinblick darauf, dass es sich bei der Sucht um eine Krankheit handelt, die die Abhängigen ins Elend treibt, als unangemessen. Zu schnell geraten die Suchtkranken ins Visier von radikalen Maßnahmen, die sie weiter ins Abseits drängen.

 

Wer ernst machen will mit einer Verbesserung der Situation für Suchtkranke, darf nicht den Kampf gegen diejenigen aufnehmen, die selbst Opfer sind. Sie sind nicht nur Opfer der Droge, sondern auch von politischen Entscheidungen, von wirtschaftlichen Interessen und Machtkämpfen. Sie übernehmen in unserer Gesellschaft eine Sündenbockfunktion. Man möchte sie nicht sehen und sich schon gar nicht mit deren Problemen auseinandersetzen. Eine für unsere Gesellschaft heutzutage ganz typische Form der Ignoranz, Intoleranz und des Egoismus bestimmt inzwischen auch das Verhältnis von Gesellschaft und Sucht.

 

Es ist jedoch an der Zeit, endlich mit diesen überholten Vorstellungen Schluss zu machen und sich der Realität zu stellen. Süchte gab es immer, und es wird sie immer geben. Es macht keinen Sinn, sich der Illusion hinzugeben, dass man eine suchtfreie Gesellschaft schaffen könne. Nur wenn dies akzeptiert wird, kann man sich auf den Weg machen, den Suchtkranken zu helfen. Verständnis für die Situation der Betroffenen ist unbedingt notwendig, damit nicht eine Mauer entsteht, die bald nicht mehr zu überwinden ist.

 

Wir wissen heute einfach zu viel über die Krankheit Sucht, als dass wir es uns so einfach machen könnten, mit dem moralischen Zeigefinger auf Menschen zu zeigen, die eigentlich unsere Hilfe bräuchten. Sucht ist eine Krankheit und kein menschliches Versagen.

 

Allerdings trägt auch eine Verharmlosung des Drogenkonsums oder gar deren Verherrlichung nicht dazu bei, die Situation zu verbessern. Vielmehr grenzt dies im Hinblick auf die Verelendung in der Drogenszene an Zynismus und stellt lediglich eine andere Form der Ignoranz dar.

Wir dürfen und müssen akzeptieren, dass es das Phänomen Sucht in unserer Gesellschaft gibt, aber wir dürfen die Suchtkranken nicht ihrem Schicksal überlassen. Andererseits dürfen wir auch von der Politik nicht zu viel erwarten und uns darauf verlassen, dass die Politiker die Sache schon richten werden. Jeder von uns ist aufgefordert, sich der Problematik zu stellen. Aufklärung ist sinnvoll und notwendig, aber sie funktioniert nicht, wenn die Menschen sich nicht aufklären lassen. Es muss die Bereitschaft wachsen, sich mit der Suchtproblematik zu beschäftigen, denn es trifft nicht immer nur die anderen.

 

Neue Wege zu beschreiten, bedeutet immer auch, dass man Risiken eingehen muss. Diese Risiken richtig einzuschätzen, ist eine schwere Aufgabe. Aber ohne Risiken wird es auch in der Drogenpolitik keinen Fortschritt geben.

 

 

Auch und gerade im Hinblick auf den Konsum legaler Drogen, wie z.B. Alkohol, Tabak, Medikamente, muss ein Umdenken stattfinden. Wenn wirtschaftliche Interessen stets im Vordergrund stehen, so bleibt dies nicht ohne Folgen. Und von den Folgen sind gerade auch nachkommende Generationen betroffen, die in eine Gesellschaft hineinwachsen, in der Alkohol, Tabak oder Medikamente wie selbstverständlich konsumiert und von der Werbung verherrlicht werden. Junge Menschen wachsen heute mit vielfältigen Problemen auf und stehen unter einem enormen Leistungsdruck. Es gilt deshalb, gerade Kinder und Jugendliche über die Gefahren, die mit illegalen und auch mit legalen Drogen verknüpft sind, rechtzeitig und umfassend aufzuklären. Dies muss aber sachlich und nicht mit erhobenem Zeigefinger geschehen.